Operational Excellence ist heute in aller Munde und gilt allgemein alles erstrebenswertes Ziel. Leider bleibt es jedoch in vielen Fällen bei einem Lippenbekenntnis, wenn man sich die Anzahl von Fehlern in Prozessen vor Augen führt. Mehr und mehr wird auch von Medien fehlende Operational Excellence verbreitet und beeinflusst entsprechend das Image von einem Unternehmen und die Qualität seiner Produkte.
Ob das nun das neue Transportflugzeug von Airbus ist, dessen Mängelliste laut Verteidigungsministerium 875 Punkte (!) umfasst – darunter Schimmel in der Küchenspüle, ausgelaufenes Hydrauliköl am Hauptfahrwerk, fehlende Isolierungen an Elektrokabeln und mangelnde Sauberkeit in der Herstellungshalle – oder ob es sich um den Zündschloss-Skandal von General Motors handelt, bei dem der Autohersteller zugibt, dass defekte Zündschlösser mindestens 51 Todesfälle von Autofahrern verursacht haben. Stets ist deutlich erkennbar, das Prozesse vielfach ganz offensichtlich nicht ausreichend oder gar nicht beherrscht werden.
Operational Excellence und Wettbewerb
Für eine brauchbare Definition von Operational Excellence muss meiner Meinung nach auch der Wettbewerb miteinbezogen werden: Daraus ergibt sich die Summe aller Fähigkeiten, um eine Unternehmensstrategie zuverlässiger und beständiger als die Konkurrenz umzusetzen. Verfügt ein Unternehmen über eine herausragende Performance, die den Branchenstandard deutlich übertrifft, so ist es exzellent in der operativen Umsetzung einer ausserordentlichen Strategie. Operational Excellence muss also immer in Bezug zur Strategie des Unternehmens gesehen werden.
Grossunternehmen und Mittelstand
Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die Geschäftsprozessmanagement (GPM) einsetzen, sich durch eine hohe Operational Excellence auszeichnen, also eine grosse Umsetzungsstärke, wenn es darum geht, die Strategie zuverlässig und schrittweise umzusetzen. In Deutschland schneiden Mittelständler in dieser Hinsicht besser ab als Grossunternehmen. Der Mittelstand erweist sich als Wachstumschampion, schafft auch in Krisenzeiten Arbeitsplätze und sorgt für ein Drittel der Wirtschaftsaktivität, obwohl er nur eine Minderheit der Unternehmen ausmacht.
Ich meine, dass Operational Excellence sowohl in mittelständischen wie in Grossunternehmen Platz hat. Lediglich die Ausgangslage ist bei beiden Gruppen unterschiedlich. Dementsprechend wird der Weg, den beide einschlagen, unterschiedlich sein.
Operational Excellence in verschiedenen Branchen
Prozessmanagement wird traditionellerweise mit der Automobilindustrie beziehungsweise produzierenden Unternehmen in Verbindung gebracht, da es als Erstes bei Toyota eingeführt wurde und sich von dort aus in der gesamten Branche verbreitete. Ein häufiger Vorbehalt lautet daher, Prozessmanagement eigne sich nur für Produktionsunternehmen und sei für Dienstleistung oder Handel nicht anwendbar, weil dort nichts „produziert“ werde. Produkte aus dem Dienstleistungsbereich besitzen zwar keine materiellen Eigenschaften, sondern haben oftmals den Charakter von Informationen. Gemeinsam ist jedoch Produktions- und Dienstleistungsbetrieben, dass der Kauf unmittelbare Aktivitäten in den Organisationseinheiten des Unternehmens nach sich zieht. Alles, was mit der Abwicklung des Kaufs bis zur Auslieferung an den Kunden zu tun hat, erfordert die Organisation gewisser Abläufe und Strukturen. Die Prozesse sollten so effizient wie möglich, also ressourcen- beziehungsweise zeit-, kapital- und personalschonend– vonstatten gehen. Und mit der geforderten Effizienz kommt auch das erforderliche Management der Prozesse ins Spiel.
Ein anderer Einwand gegen Prozessmanagement in Dienstleistungen und Handel lautet, es sei zu kostenintensiv, weil der Aufwand für Datenerfassung und Statistik nicht gerechtfertigt sei. Ich teile den Einwand insofern, als dass es nicht sinnvoll ist, Statistiken um ihrer selbst willen zu pflegen. Die Analyse von Daten und Zahlen ist zwar nötig, weil sich dadurch zahlenmässig beweisen lässt, wo die Ursachen für schlechte Prozessleistungen liegen. Auf diese Weise treten Fakten zutage, die zum Beispiel durch „disziplinarische Massnahmen“ gegen Mitarbeiter nicht ans Licht kommen. Doch der Datenaufwand muss je nach Projekt angepasst werden. Keinesfalls ist es sinnvoll, die Datenanalyse zu übertreiben.
Operational Excellence auch in Zukunft ein Erfolgsfaktor?
Unternehmen aus den Zweigen Handel und Konsumgüter, Chemie/Pharma/Healthcare und Energiewirtschaft bestätigen ebenso wie Automobilindustrie und Zulieferer, dass der aktuelle Beitrag des GPM zum Unternehmenserfolg zwischen 61 und 75 Prozent liegt. Mittelfristig sehen die Unternehmen sogar, dass der Beitrag des GPM um 17 bis 29 Prozent weiter steigen wird.
Doch das Entwicklungsstadium, in dem sich die Unternehmen der verschiedenen Branchen in Sachen Prozessmanagement befinden, ist sehr unterschiedlich. Wenn man vier verschiedene Entwicklungsstufen von 1 (= Bewusstsein für GPM vorhanden) bis 4 (= GPM größtenteils eingeführt und KVP meist etabliert) zugrunde legt, so schneidet die Automobilindustrie, in der immerhin 17 Prozent die höchste Stufe vier erreicht haben, noch am besten ab. In anderen Branchen wie B-to-B Dienstleistungen/Beratung, Versicherung, Handel, Transport/ Verkehr stehen die Unternehmen zu 30-50 Prozent oft auf Stufe 1. Das heisst, sie wissen zwar, dass sie in Sachen GPM aktiv werden müssten, doch haben sie oft noch nicht einmal bestimmte Prozessthemen adressiert.
Banken
Ein besonderer Fall ist die Bankenbranche, die zu 36 Prozent noch auf Stufe 1 steht und zu 44 Prozent Stufe 3 erreicht hat. Das bedeutet, dass immerhin 44 Prozent der Banken bestimmte BPM-Methoden eingeführt und KVP teilweise etabliert haben. Doch damit nicht genug: Eine Langzeitstudie der Managementberatung Bain & Company bemängelt die Renditeschwäche von Banken und ihre überholten Geschäftsmodelle: Nicht einmal 6 Prozent von ihnen verdienen ihre Eigenkapitalkosten von 8-10 Prozent, so dass sie unter starkem Kostendruck stehen. „Für die Branche insgesamt gibt es angesichts der Zinsflaute und des harten Wettbewerbs keine andere Lösung, als die Kosten weiter nach unten zu fahren, etwa durch eine Modernisierung der IT und eine Optimierung der Prozesse.“
Gesundheitssektor
Im Gesundheitswesen, insbesondere in Krankenhäusern, Kann Prozessmanagement dazu beitragen, den gesamten Ablauf der Patientenversorgung zu optimieren und zugleich Kosten einzusparen, weil Ressourcen gezielter eingesetzt und Schnittstellen zwischen den verschiedenen Bereichen, Berufsgruppen (Ärzte, Krankenpfleger, Verwaltungspersonal) und Hierarchien systematisch organisiert werden können. Das wirkt sich positiv auf den Therapieprozess aus, der im Unterschied zu den übrigen Prozessen in den Krankenhäusern meist sehr gut beherrscht wird. Prozessmanagement ist in vielen Gesundheitsbetrieben noch Neuland, doch dort, wo mit einer klaren Spezialisierung gearbeitet wird, setzt sich bereits Prozessmanagement durch, so zum Beispiel bei der Helios Kliniken Gruppe.
Fazit
Geschäftsprozessmanagement eignet sich nicht nur für herstellende Betriebe, sondern auch für Dienstleistungen und Handel. Der Detaillierungsgrad seiner Anwendung und die Methoden sollten dabei je nach Projekt und Prozess angepasst werden. Die Intensität der Datenanalyse beziehungsweise Statistik muss dem Prinzip „so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich“ folgen. Vom Prozessmanagement profitieren insbesondere Branchen, die mit starken Rendite-Einbussen, hohem Kostendruck und/oder hoher Kundenunzufriedenheit zu tun haben und unter Umständen sogar mittelfristig auf neuen Geschäftsfeldern einstellen müssen, zum Beispiel die Finanzbranche und das Gesundheitswesen. Für alle anderen ist Prozessmanagement eine Grundhaltung, um sich mittels Operational Excellenceweiterhin mit herausragender Leistung zu positionieren.
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