Eine junge Frau, die die Einführung von Prozessmanagement in einem mittelgrossen Unternehmen verantwortet klagt im Rahmen einer Veranstaltung an der Universität Liechtenstein ihr Leid. Sie bemüht sich so sehr und kommt doch nicht weiter. Ja, kleine Erfolge gibt es schon. Da und dort. Aber dennoch sind die Ohren bei der Geschäftsleitung nicht offen. Und hat sie das Gefühl nicht weiter zu kommen.

 

„Aufgeben“, sagt sie, „möchte ich aber auch nicht! Denn ich bin ja eine Kämpfernatur. Aber langsam geht mir die Luft aus, verliere ich die Motivation!“

 

Mit ihren kreisrunden Augen sucht sie nach Hilfe, nach einem umsetzbaren Tipp.

 

„Ich verstehe Sie!“ und nehme mich ihrer an. Ich erkenne eine Erleichterung in ihrem Gesicht. Auch wenn ich merke, dass ihre Neugier umso grösser wird, aber gleichzeitig auch die Skepsis. Kann er mir wirklich helfen?

 

Sie zückt ihr Notizbuch, noch bevor ich mit meiner Antwort beginne.

 

„In einer 6000 Mitarbeiter zählenden Landesorganisation eines global agierenden Konzerns sollten wir Lean Six Sigma einführen. Die Geschäftsleitung hat aus 9 Mitgliedern bestanden. Jeder kann sich leicht vorstellen, dass nicht alle 9 grosse Befürworter gewesen sind. „Ein GL Mitglied“, führe ich weiter aus, „hatte 5 Milliarden Umsatz zu verantworten, führte Hunderte von Mitarbeitern.“

 

Ich nenne ihn den „Five Billion Man“. Jeder im Projektteam inklusive der CEO hat mich vorgewarnt: „Bei dem bekommen Sie nicht einmal einen Termin!“ Und trotzdem habe ich es versucht. Ja, und ich habe einen Termin erhalten! Wow! Aber war es überhaupt ein Termin? Denn der „Five Billion Man“ fängt mich bereits vor seinem Büro ab. „Na, wenn das kein Revierspiel ist“, denke ich. Die Besprechung ist also auf dem Gang. Auch gut! Ich lasse mich nicht beirren. Das Gespräch dauert 8 Minuten. Sicherlich 5 Mal höre ich, er verantwortet ein Business mit 5 Milliarden. Beachtlich denke ich! Milliarden sind ja 9 Nullen oder das sind mehr als 125000 Fahrzeuge der Golf-Klasse. Ich stell mir die Grösse eines Parkplatzes vor, damit all die 125000 Autos Platz haben. Ja ,wirklich beachtenswert.

 

Doch ich lerne mehr als nur diese Tatsache. Er hat seine Business re-organisiert, hat sich das Ziel gesetzt ein neues Business Modell umzusetzen und kämpft enorm gegen die immer stärker werdende Konkurrenz. Kann ich damit was anfangen?

 

Immer wieder kam es zu derartigen Besprechungen. Einmal im Lift zwischen der 17. und der 23. Etage. Einmal in der Schlange in der unternehmenseigenen Bäckerei und dann wiederum um 20 Uhr, als wir beide, die Kappe tief ins Gesicht gezogen, die Firma verlassen. Wir beide kämpfen gegen den eisigen Wind, der uns entgegen bläst. Und ich dachte mir nur, welcher Wind ist nun eisiger? Der Wind, der von Norden polare Kälte mitbringt und uns entgegen bläst oder der Wind, den mir der „Five Billion Man“ entgegen bringt. Ja, man muss sich bei beiden warm anziehen, denke ich und verschwinde still im wärmenden U-Bahn Bahnhof.

 

Ich komme mir vor wie ein Forscher auf unbekanntem Gebiet. Nur erforsche ich keine Länder, sondern Menschen und hier erforsche ich diesen unbekannten, eisigen „Five Billion Man“. Wer ist er? Was denkt er? Was treibt ihn an? Warum ist er auf dieser Position und was hält ihn auf dieser Position? Ich erinnere mich an die Kälte, die ich einst im Winter in Calgary erlebt habe, aber hier war ich in Mitteleuropa und es hat lediglich minus 2 Grad.

 

Viele Fragen, die ich stellte um EINE Antwort zu bekommen. Eine Antwort auf DIE Frage, auf die wichtigste: „What’s in it for me?“ Wenn ich diese Antwort finde, dann wechselt der Polarwind zu einem angenehmen Mai-Lüftchen, dessen bin ich mir sicher!

 

Meine Füsse sind in seinen Schuhen, meine Gedanken in seinem Tun. Und ja über der Zeit erhalte ich die eine Antwort: Mein Lean Six Sigma und sein neues Geschäftsmodell! Meine Prozesstransparenz und seine Re-Organisation! Meine Kennzahlen und sein Mitbewerb! Ja, genau das waren Aspekte dieser einen Antwort. Und sie hilft mir die weissen Flecken auf der Landkarte zu eliminieren!

 

Mit Akribie habe ich die einzelnen Antworten zusammengetragen, jedes Polar-Wind-Gespräch genutzt, um ein Bild mit zusammenhängenden Puzzle-Steinen zu erhalten.

 

Und siehe da: Langsam, ganz langsam, änderten sich das Wetter und das Mai-Lüftchen beginnt mich zu wärmen……

 

Fazit:

 

  1. Mit umfangreichem Stakeholder-Management das Top-Management „erforschen“ und lernen zu verstehen (keine Alibihandlungen setzen!)
  2. Sich in die Lage des Top-Managers versetzen und IMMER die Frage: „What’s in it for me?“ für ihn beantworten!
  3. Mit jedem Top-Manager auf einer individuellen Ebene „arbeiten“
  4. und zu guter Letzt: Geduld und Ausdauer zeigen.

 

PS: Im übrigen habe ich mein Verhalten kürzlich in einem tollen Buch mit dem Titel „Sanft siegen“ bestätigt bekommen. Eine ehemalige Spitzendiplomatin und Wirtschaftskennerin gibt in diesem Buch die Geheimnisse der Diplomatie preis. Hier wird in klaren unmissverständlichen Worten beschrieben, was wir von der Diplomatie lernen können. Dieses Buch gibt konkrete Handlungsempfehlungen, die weiter helfen. Brillant was die Wirtschaft von den Diplomaten lernen kann. Tolles Buch